Religiöse Identität, Integration, Prävention gegen Radikalisierung: Die Diskussion über islamischen Religionsunterricht wird streckenweise von politischen Schlagwörtern beherrscht. Die Chancen und Herausforderungen des im Entstehen begriffenen Angebots für muslimische Schüler genauer zu beleuchten, war Thema des jüngsten T-Gesprächs der Christlich-Islamischen Gesellschaft Pforzheim im Hilda-Gymnasium. Zentrale Ansprechpartnerin für die rund drei Dutzend Teilnehmer war Hasnaa Dahabi, die mit Blick auf ein künftiges Modellprojekt an der Insel-Realschule bereits Ende April dem Gemeinsamen Schulbeirat Einblicke in ihre bisherige schulische Arbeit in Tübingen gegeben hatte. Die Studentin der islamischen Theologie sah sich bei türkischem Tee und Gebäck einer Bandbreite von Fragen gegenüber:
Welche Inhalte werden unterrichtet?
Dahabi geht es um die Vermittlung grundsätzlicher religiöser Kompetenzen. „Wir behandeln die Entstehung des Islams, seine Geschichte, die fünf Säulen, die Propheten“, so die gebürtige Libanesin, die auch die Antwort auf die Frage nach der Vereinbarkeit unterschiedlicher Strömungen gibt. „Es gibt nur einen Koran“, sagte sie über das heilige Buch, das alle Muslime verbindet. Gemeinsam mit dem Leben des Propheten, der Sunna, bilde es die Grundlage. In ihren Unterricht kämen Schüler unterschiedlicher Strömungen. Hossein Fatimi von der Christlich-Islamischen Gesellschaft betonte, dass die sunnitische Strömung, der 77 Prozent aller Muslime angehören, eine geeignete Basis sei. „Ich in Schiit, aber damit sind alle einverstanden.“
Wie wird der Unterricht von den Schülern aufgenommen?
Er erleichtere die Integration und gebe den jungen Muslimen mehr Selbstbewusstsein. „Sie merken, sie können offen über ihre Religion sprechen“, sagte Dahabi. Dies gelte auch für kritische Fragen zu religiösen Dogmen. Dies alles geschehe auf Deutsch. Auch mit Blick auf die Arbeit gegen eine mögliche Radikalisierung sei dies wichtig. „Fast alle Salafisten predigen auf Deutsch“ – und erreichten damit die jungen Menschen, denen die Landessprache meiste näher sei als die Sprache der Eltern. Dass sich das Abdriften in den Extremismus dabei nicht immer verhindern lässt, weiß sie nur zu gut. „Ich kenne einen Schüler, der in Syrien kämpft.“
Wie geht man mit kriegerischen Texten um?
Den kritischen Hinweis auf martialische Stellen im Koran nahm Dahabi zum Anlass, auf die Bedeutung historisch-kritischen Unterrichts hinzuweisen. „Es ist immer die Frage, in welchem Kontext eine Sure offenbart wurde“, sagte sie mit Blick auf Passagen, deren Entstehung in die Zeit eines Krieges fällt. Man müsse das heilige Buch interpretieren. „Wir leben in einer anderen Zeit als der Prophet Mohammed.“ Der analytische Ansatz gelte auch für den Umgang mit Traditionen wie den vier Rechtsschulen. „Wenn ich mich an die Lehren von Abu Hanifa halte, habe ich kein Problem, in Deutschland zu leben. Dann darf ich etwa auch Waren verkaufen, die für mich selbst verboten sind.“
In welchem Verhältnis steht der Unterricht zur Spiritualität?
„Die Moschee funktioniert anders. Es ist nicht unser Ziel, sie zu ersetzen“, sagte Dahabi. „Die Menschen gehen auch trotz evangelischem und katholischem Religionsunterricht in die Kirche.“ Halil Sahin, Generalsekretär der Fatih-Moschee sprach sich für einen schulischen Islamunterricht aus.
Welche Befürchtungen gibt es?
„Wir dürfen den Islamunterricht nicht mit Erwartungen überfrachten“, sagte Edith Drescher, Schulleiterin des Hilda-Gymnasiums, zum Schutz vor einer Radikalisierung. Auch sei noch nicht klar, woher die Schulen in ausreichendem Maß qualifizierte Lehrkräfte bekommen würden. Drittens verstehe sie die Sorge der Ethiklehrer über eine Schwächung des Fachs. Zudem kritisierte die Pädagogin eine Schieflage in der Diskussion. Auch Schülern, die sich für Ethik entscheiden, stehe Unterricht von Anfang an zu – nicht erst ab Klasse sieben.
Quelle: Pforzheimer Zeitung - Freitag, 22.05.2015