Was für ein Mensch der Verstorbene war, zeigt sich auch bei dessen Bestattung. Diese kann je nach Religionszugehörigkeit ganz unterschiedlich verlaufen. Ein Pfarrer, ein Rabbiner, ein Muslim und ein Trauerredner erzählen.
Niemand kann erahnen, wie es drinnen aussieht – in einem Menschen, der vielleicht das Liebste in seinem Leben verloren hat: Eltern, Kinder, Geschwister, Ehepartner, den engsten Freund, die liebste Freundin. Wie aber muss es aussehen in einem, der zwar von Berufs wegen – und aus Berufung – Menschen trösten muss und will, aber dem das Schicksal es aufbürdet, die persönliche, private Trauer öffentlich zu machen?
Jens Adam, seit 2011 evangelischer Pfarrer in der Büchenbronner Bergkirche, kennt diesen schweren Weg. Bereits mehrmals hat er nahestehende Verwandte zu Grabe getragen. „Niemand hat mich gezwungen, jeder hätte es verstanden, wenn ich gesagt hätte: Ich kann nicht“, sagt der 45-jährige Theologe. Er hat sich entschieden, es zu tun – so, wie er das bei Fremden auch tut. Und zwar genau so, mit der gleichen Einfühlung, der gleichen Liebe zum Menschen, der gleichen christlichen Botschaft: SEINE Wege gehen weiter. „Ansonsten hätte ich ja in allen anderen Fällen eine Maske aufgehabt, hätte wie ein Schauspieler eine Rolle angenommen“, sagt Adam.
Durchschnittlich 30 bis 40 evangelisch getaufte Christen in Büchenbronn pro Jahr – nominell sind es im Bergdorf rund 2600 Protestanten – begleitet der Pfarrer auf ihrem letzten Weg, versucht, die richtigen Worte zu finden, sowohl zu erinnern an den verblichenen Menschen als auch vorauszuschauen im Sinne des christlichen Selbstverständnisses. „Die Formulierung des Lebens im Lichte Gottes“ nennt Adam das Gehen der letzten irdischen Strecke. Am Ewigkeitssonntag – dem Totensonntag – wird Adam die Namen derer verlesen, die in seiner Gemeinde im vergangenen Kirchenjahr in Büchenbronn gestorben sind. Für jeden wird er eine Kerze entzünden, der Liederkranz Büchenbronn wird den Gottesdienst musikalisch umrahmen.
Blickt Adam auf die vergangenen vier Jahre zurück, in denen der gebürtige Pforzheimer die Protestanten in Büchenbronn seelsorgerisch begleitet hat, stellt er fest: „Die Trauergespräche werden immer wichtiger“ – jene intimen, intensiven Momente des Zuhörens zwischen Tod und Trauergottesdienst. Woran das liegt? Adam versucht eine Erklärung: Es gebe eine zunehmende Scheu, in der Öffentlichkeit zu sagen: „Mein Glaube gibt mir Halt.“ Und sei nicht jeder Gottesdienstbesuch ein öffentliches Bekenntnis – gleichgültig, ob nur bei bestimmten Gelegenheiten? Das Trauergespräch also als Rückzug auf die Religion als Privatsache?
Auf der Homepage der evangelischen Kirchengemeinde von Büchenbronn schreibt der Theologe unter anderem: „Dieses Evangelium erzählt davon, wie Gott in seinem Sohn uns Menschen und seiner ganzen Schöpfung unglaublich liebevoll, konkret, heilvoll und erheiternd nahegekommen ist.“ Nicht von ungefähr gebe es das traditionelle Osterlachen in der Predigt an Ostersonntag – als Kontrapunkt zur Trauer an Karfreitag: Die Auferstehung siegt über den Tod – was nicht nur am höchsten Fest der Christenheit gelte. Sondern auch an jedem dieser Tage, an dem nach christlicher Überzeugung ein Mensch in eine andere Welt geht.
Adam zitiert aus der Offenbarung des Johannes: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“
Vor dem Hintergrund der steigenden Zahl an Kirchenaustritten und des verbreiteten Atheismus, insbesondere unter jüngeren Menschen, werden Trauerfeiern immer häufiger ohne religiöse Elemente abgehalten. Statt eines Pfarrers richtet dann ein Trauerredner tröstende Worte an Angehörige und Freunde. So auch der Pforzheimer Historiker Olaf Schulze, der unter anderem Führungen auf dem Hauptfriedhof anbietet. Seit zehn Jahren begleitet er Trauernde nach dem Tod eines Verwandten und spricht in der Aussegnungshalle, am offenen Grab oder der Urnenwand. „Ich hatte früher oft das Gefühl, dass der Verstorbene, über den gesprochen wurde, in der Rede gar nicht auftauchte“, erinnert sich Schulze. Zudem seien liturgische Elemente Bestandteil von Trauerfeiern gewesen, obwohl der Betroffene mit Religion nichts am Hut hatte. Auslöser, warum sich der Historiker für die Arbeit als Trauerredner entschied, war die Beerdigung einer ehemaligen Lehrerin. „Ich hatte das Gefühl, dass sie als Person gar nicht vorkam“, erinnert er sich. „Deshalb bin ich an ihrem Grab vorgetreten und habe stellvertretend für all ihre ehemaligen Schüler gesprochen.“
Die Biografie des Verstorbenen steht bei seinen Reden, die er heute rund einmal im Monat hält, im Vordergrund. „Ich nehme mir viel Zeit für die Verwandten“, so Schulze. Er klopfe nicht nur den Lebenslauf ab, sondern versuche, den Charakter des Toten zu erkennen. Dafür braucht es viel Einfühlungsvermögen. „Nicht jeder Todesfall berührt einen auch persönlich“, so Schulze. „Wenn Menschen jedoch jung sterben oder sich das Leben nehmen, fällt es schwer, Sätze zu formulieren, die Kraft geben.“ Kompliziert sei es auch, wenn Ereignisse an die eigene Biografie erinnerten. Eine spezielle Ausbildung hat Schulze nicht gemacht. Das war vor zehn Jahren noch nicht möglich.
Christliche Elemente müssen während der Zeremonie auch ohne Pfarrer nicht fehlen. „Dadurch, dass ich evangelisch bin, darf ich zum Beispiel das ,Vater unser‘ mit den Angehörigen beten“, erklärt der Redner. Er erfrage vorab, welche Vorstellung von Tod und Endlichkeit die Verwandten haben – und baue diese Gedanken ein. „Ich vertrete den Standpunkt, dass jeder Mensch ein würdiges Ende verdient hat“, sagt Schulze. Damit habe er am Ende immer etwas Christliches getan, selbst wenn die Feier ohne jegliche religiösen Symbole verlaufe. In solchen Fällen lese er Gedichte oder allgemeine Texte. „Es spricht auch nichts dagegen, Rockmusik zu spielen, wenn das passt“, so der Historiker. Im Fokus stehe der Verstorbene.
Gläubigen gebe er bei einer atheistischen Feier die Gelegenheit zum stillen Gebet. Überhaupt vereint er Gläubige und Konfessionslose sowie unterschiedliche Religionen. Es gebe auch Fälle, in denen er den biografischen Teil vortrage, bevor ein Pfarrer übernehme. Eine solche Kombination zieht Schulze auch für sich selbst in Betracht. Er ist nicht der Einzige, der sich darüber Gedanken macht. „Ältere Menschen kommen zu mir und möchten mir ihr Leben selbst erzählen.“
Alternative Beerdigungsvarianten bleiben bei Muslimen eine Ausnahme, hier sind Tradition und Religion stark, wie Halil Sahin, Generalsekretär der Fatih-Moschee berichtet. „Auch wer selten in die Moschee geht, wendet sich bei einem Sterbefall in der Regel an einen Religionsgelehrten“, sagt der 21-Jährige. Hintergrund sind die religiösen Regeln. So solle der Verstorbene schnell beerdigt werden, wenn möglich innerhalb eines Tages. „Erst nach dem Begräbnis beginnt nach islamischem Verständnis die Befragung der Person nach ihren Taten“, so Sahin über das Leben nach dem Tod.
Zuvor wird der Tote mit einer letzten Waschung auf die Beerdigung vorbereitet, das Totengebet ohne Gebetsruf schließt den Kreis des muslimischen Lebens, der mit dem Gebetsruf ohne Gebet ins Ohr des Kindes begann. Wo ein Muslim begraben wird, spiele theologisch hingegen keine Rolle, so Sahin. „Seit es möglich ist, Menschen auch in Baden-Württemberg ohne Sarg zu beerdigen, ist die Nachfrage gestiegen. Auch in Pforzheim.“ Wichtig ist, dass die Toten, die in der Regel in Leintücher gewickelt sind, in der richtigen Position liegen – auf der rechten Seite, den Blick gen Mekka, der heiligsten Stätte des Islam, wo während der Pilgerfahrt die Kaaba umrundet wird. Feuerbestattungen sind verboten, auch gebe es keinen Trend dazu. „Der Mensch soll so vor Gott treten, wie dieser ihn geschaffen hat“, sagt Sahin.
Die islamische Sterbekultur kennt weder Grabsteine noch Grabschmuck. Eigentlich, denn auch hier spielen Traditionen sowie Einflüsse von außerhalb eine Rolle, wie Sahin schildert. So gebe es etwa in Saudi-Arabien keine Markierungen – wo welcher Toter genau liegt, gerät in Vergessenheit. In der Türkei sind Grabsteine hingegen durchaus zu finden.
Auch in Pforzheim seien Abweichungen von der reinen Lehre zu beobachten. „Manche Muslime stellen zum Beispiel Engelsfiguren auf die Gräber“, so Sahin. „Die gibt es im Islam ebenso wenig wie Kerzen.“ Solche Elemente widersprechen zum einen dem Bilderverbot, zum anderen der Überzeugung, dass einzelne Menschen nicht angebetet werden dürfen. „Es gibt zwar bestimmte Tage, an denen der Friedhof besucht werden soll – aber dann soll man für alle beten, nicht nur für einzelne.“
Nicht religiös sei neben Grabschmuck auch das laute Wehklagen, das mitunter zu beobachten sei. „Das ist für Nichtmuslime immer wieder irritierend“, sagt Sahin. Überhaupt gilt der Tod – wie im Christentum – nicht als Schrecken. „Eigentlich sollte man sich als Muslim auf den Tod vorbereiten“, sagt Sahin. Schließlich werde das Leben von Gott gegeben und auch wieder genommen.
Präzise Regeln prägen auch Tod und Begräbnis im Judentum. So sollen Tote, um sie zu ehren, nicht lange unbegraben bleiben, sagt Michael Bar-Lev, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde. Trotz des Glaubens an das Jenseits überwiege das Gefühl des Verlustes, so der Geistliche – im Judentum hat das Leben den höchsten Wert. Vor der Bestattung reinigt die Chewra Kadischa den Toten nach genauen Vorgaben – Gemeindemitglieder, die dafür ausgebildet wurden. Sollte ein Mann nicht beschnitten sein, etwa weil er in der Sowjetunion aufgewachsen ist, wird dies nachgeholt. „Damit er als vollständiger Jude beerdigt wird“, so der Rabbiner. In Israel finde die Bestattung in einem Leintuch statt – im Ausland, auch in Pforzheim, in einem Sarg. „Für den Fall, dass sie später noch nach Israel gebracht werden sollen.“ Dorthin, so der Glaube, werden die Seelen der Gerechten am Jüngsten Tag von Engeln zurückgebracht. Dies ist auch der Grund, warum jüdische Gräber nicht aufgelöst werden dürfen. „Es gibt einen Knochen, der nicht verfault. Aus ihm wird der Mensch wieder geformt.“ Auch die Feuerbestattung ist deshalb verboten.
Für die Angehörigen endet mit der Beerdigung der erste Trauerzustand, die Trauerwoche beginnt. „Während der Schiwa soll man erniedrigt sitzen, sich möglichst wenig waschen und sich auf die Trauer konzentrieren“, sagt Rabbiner Bar-Lev. Die Trauernden sind von den religiösen Pflichten entbunden, verlassen das Haus nicht, die erste Mahlzeit wird ihnen gebracht. Auch das Tora-Studium ist verboten. Die nahen Verwandten reißen sich ob des Verlusts die Kleidung am Hals senkrecht ein. Die Trauerwoche ist Teil des Trauermonats – Schloschim –, in dessen Restzeit das Leben wieder normaler verläuft, man aber Lustempfinden vermeidet. Stirbt ein Elternteil, ist ein Trauerjahr Pflicht. Auf dem Friedhof erinnern Grabsteine an die Toten, bei einem Besuch legt man Steine auf sie, erklärt der Rabbiner. „So zeigen wir, dass sie nicht vergessen sind.“
Pforzheimer Zeitung - 31.10.2015