Der Hadsch gehört zu den Säulen des Islam. Muslime, die hierzu in der Lage sind, müssen diesen Pflichtgottesdienst erfüllen. Dazu besuchen sie zu einer fest vorgegebenen Zeit die Kaaba sowie die umliegenden gesegneten Orte und vollführen dabei bestimmte religiöse Rituale. Jeder Muslim, der die Voraussetzungen hierfür erfüllt, muss einmal in seinem Leben diesen Gottesdienst vollführen. So heißt es hierzu im Koran: “Es ist das Recht Allahs an den Menschen, dass diese zum Haus (Allahs) pilgern, wenn sie des Weges in der Lage sind.“ [1]
Millionen Gläubige aus aller Welt kommen für diesen Gottesdienst zur selben Zeit am selben Ort zusammen. Sie alle gehören den unterschiedlichsten Kulturen, Sprachen und sozio-ökonomischen Schichten an. So unterschiedlich sie auch sind, geeint sind sie hier wieder in der Liebe zu Allah sowie in der Hinwendung zu Ihm.
Es ist die Erinnerung an all die vorangegangenen Propheten und insbesondere an die des Propheten Abraham (a.s.), die uns der Hadsch wieder aufleben und in uns spüren lässt. Wir erleben hier die Wiegen der Offenbarung. Die Orte, da unser Prophet (s.a.w.) gewirkt und seine Botschaft verkündet hat. Wir sehen sie nun, all die Orte, an denen er gewirkt und gestritten hat, um den Glauben an den Einen Gott, den tawhid, wieder herzustellen. Wir werden damit förmlich Teil dieser Geschichte, gehen in ihr auf. Und nicht zuletzt erleben wir hier die Freude, den Stolz, aber auch die Verantwortung, zu denen zu gehören, die stellvertretend für die 1,5 Milliarden Muslime auf der Welt die Heiligen Stätten besuchen dürfen.
Der Hadsch steht auch für das gegenseitige Kennenlernen der Muslime, die aus aller Welt hierhin kommen. Für ihr Näherrücken und Teilen: der Sorgen wie der Freuden. Er führt uns nicht nur wieder unserem Bewusstsein für unseren Glauben (iman) und unsere Gottesdienste (ibādāt) zu. Sondern ist uns insgesamt eine außergewöhnliche Zeitspanne, in der unsere geschwisterliche Verbundenheit im Glauben seinen Niederschlag findet in unseren Handlungen. Wir erleben nun ein Bad der Gefühle. Auch sie kommen hier alle gleichzeitig zusammen und scheinen doch nicht aufeinanderzuprallen: Der Stolz, diesem Glauben anzugehören, die Aufregung, hier dabei sein zu dürfen, Geduld und Toleranz, Einsamkeit aber auch das Gefühl, als würde man wie zur Rechenschaft am Jüngsten Gericht zum Versammlungsplatz, dem mahscher, zusammengezogen. All dies macht diesen Gottesdienst zu einem besonderen. Und mit der Erfüllung dieser stellt der Gläubige mitunter unter Beweis, dass er Hab und Gut einsetzen kann, um damit das Wohlgefallen Allahs zu erlangen.
Gläubige, die bei der Hadsch ihre Alltagskleidung ablegen und das Pilgergewand, den ihram, anlegen, vergegenwärtigen sich dadurch, dass das Erdenleben, aller Rang und alles Hab und Gut in ihm vergänglich sind und sie einzig mit ihrem Leichentuch dahinziehen werden ins Jenseits. Sie führen praktisch eine Generalprobe hierfür durch.
Die Spiritualität erreicht hierbei ihren Höhepunkt. Wie aus einem Munde rufen die Gläubigen nun die talbiya und bitten damit um ihre Vergebung: „Labbayk, Allahumma labbayk!“: „Hier bin ich o Allah! Ich stehe Dir zu Diensten! Du hast weder Deines Gleichen noch einen Teilhaber. Der Dank gebührt Dir, wie auch die Gaben Deine sind sowie aller Besitz. Du hast weder Deines Gleichen noch einen Teilhaber.“ Ebenso beten die Gläubigen, wenn sie die Kaaba umrunden oder zu Arafat inne halten und die waqfa machen. Sie beten hier für sich selbst, ihre Familienangehörigen sowie all die anderen Muslime auf der Welt. Es sind dann die Tränen, die ihnen bei diesen Gebeten über die Wangen rinnen, die ihnen ihre Sünden decken und diese sühnen.
Der Hadsch sollte in uns das Bewusstsein für unsere Dienerschaft stärken und eine neue Seite in unserem Leben öffnen. So sagte dereinst unser Prophet (s.a.w.) – und er hat nur einmal in seinem Leben den Hadsch vollzogen: „Der Lohn für einen angenommenen Hadsch ist nichts anderes als das Paradies.“ [2] So kommt es nicht darauf an, wie oft wir den Hadsch vollführen, sondern darauf, welchen Wert er bei Allah hat.
Der Hadsch sollte auch nicht dazu dienen, die Fehler der anderen zu sehen, sondern vielmehr unsere eigenen – auf dass wir dann von ihnen ablassen. Dies ist auch nicht der Ort, da wir uns über andere beschweren, sondern über uns selbst. Es ist der Ort, da wir reumütig von unseren Sünden und Fehlern abkehren und um Vergebung für diese bitten.
Auf keinen Fall ist der Hadsch eine gewöhnliche Reise. Es handelt sich bei der Hadsch um einen Gottesdienst, der uns Läuterung bringt und Erhabenheit. Nach Möglichkeit lässt der Mensch für diesen Gottesdienst all seine materiellen, körperlichen und weltlichen Begierden zurück und schreitet so zu seinem eigentlichen Ziel.
[1] Āl Imrān, 3/97
[2] Buchārī, Umra, 1; Muslim, Hadsch, 437.
[3] Muslim, Hadsch, 436.
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